Aarhus, Tag 1

Noch einen Nachtrag zu gestern: Natürlich überfährt niemand einen anderen absichtlich! Aber es gibt Kollisionsverhütungsregeln, in denen festgelegt ist, wer wem nicht in die Quere kommen soll. Wir würden es zum Beispiel nie mit einer Fähre oder einem Seepolizeiboot aufnehmen. Windsurfer und Kiter müssen allen anderen aus dem Weg gehen, weil sie gut steuerbar sind. Und vor der Hafeneinfahrt die Liturgie des Wenden und Halsens zu üben ist für alle ein No-go. So weit, so gut.

Heute Morgen habe ich herausgefunden, weshalb die dänische Bevölkerung so hyggelig drauf ist. Die machen das so: Beim WC/Dusche-Häuscheneingang hat es eine Tastatur. Die funktioniert manchmal auf Anhieb und manchmal ein bisschen, also die halbe Kennzahl (nützt dir gar nichts) und manchmal überhaupt nicht. Du weisst aber nie, wann du welche Situation antriffst. Also übst du dich in Geduld, probierst und probierst und wartest. Gibst dem System ein bisschen Zeit und übst weiter. Falls es nicht klappt, sind nicht deine Bad Vibes schuld, sondern du wirst gerade darin geschult, deinen Charakter Richtung Hygge zu entwickeln. Irgend einmal kommt ein Mitmensch daher und tippt, oh Wunder, auf Anhieb den Code ein, übrigens denselben, den du auch eingetippt hast, und öffnet dir charmant die Tür. Und er denkt nicht, «komische Alte, hat wahrscheinlich nicht mehr alle Tassen im Schrank», sondern lässt dich galant vorgehen.

Deine Vorgängerin in der Dusche hat diese mit dem Schaber sauber abgezogen damit du nicht in ihre Schaumspuren trittst. Du tust natürlich dasselbe nach deiner Dusche.

Beim Verlassen des Gebäudes öffnest du die Tür sorgfältig, möglicherweise steht ein disparater Sollte-dringend-aufs-WC-Kandidat draussen. Anschliessend wartest du noch ein Weilchen, ob noch jemand des Weges kommt, der oder die dann die Tür nicht aufkriegt, wenn du sie schliessen würdest.

Der obercleverste und doppelhyggelige Menschenfreund hat dann das Gebäude so verlassen, dass er den Schliessriegel eingerastet lässt, damit die Tür offen bleibt. So geht das! Und alle sind glücklich.

So lernt man wahrscheinlich hier von klein auf Sinn für Gemeinschaft, Liebenswürdigkeit und Geduld.

Ich lerne.

Und Schlange stehen können die! Keiner rollt vaterländisch mit den Augen, seufzt theatralisch, schimpft vor sich hin, mäandert an der Belastungsgrenze herum oder hat ein unterirdisches psychosoziales Funktionsniveau. Sie stehen einfach ruhig in der Schlange und warten, bis sie an der Reihe sind.

Es war ein toller Tag, wir sind voll bis zu den Kiemen mit Kulturgenuss. Als erstes besuchten wir das ARoS, das Kunstmuseum der Stadt.

Der markante Bau wird vom runden Regenbogenpanorama gekrönt. Wir waren begeistert.

Die Architektur im Gebäude drin ist auch spektakulär.

Gefallen hat mir vor allem die Malerei aus dem Goldenen Zeitalter und dem Modernismus. Wie machen die das bloss mit dem Licht?

Ron Mueck, Boy (1999)

Für die zeitgenössischen Installations- und Videokunst fehlt mir oft die Erkenntnis und die Bildung. Pippilotti Rist ist hier auch vertreten.

Anschliessend besuchten wir im Musikhuset ein Konzert des dänischen Klaviernachwuchses der Gradus Piano School in Aarhus. Junge Talente, Kinder zwischen sieben und achtzehn Jahren, führten klassische Werke auf. Hinreissend, beeindruckend und berührend.

Den Abend verbrachten wir in einem schönen Restaurant mit wunderbarem Essen und viel feierndem einheimischen Volk. Wir sind sehr dankbar für die letzten siebzehn Jahre und sind froh, wenn noch ein paar dazukommen dürfen.

6 Antworten

  1. Esther sagt:

    Härzlechi Gratulation zu euem Hochzytstag.
    Ja, das wünsche ig euch ou: mög no mänge drzue cho!
    Gniessets

  2. Dorothee Fischer sagt:

    Ich verstehe immer besser, warum ihr so Fans seid von Dänemark; muss ja wirklich ein wunderschönes Land sein – und die paar kleinen Schwierigkeiten (z.B.Dusche) sind wohl wie das schwarze Tüpfli im perfekt geschminkten Gesicht einer schönen Frau … !?
    Hast du das weisse Traumkleid nun doch noch gefunden???

    • Marianne sagt:

      Hoi liebi, nein, das weisse Traumkleid wartet ja zu Hause auf mich. Ich habe ein tolles Schnittmuster und mache im Moment ein Kleid daraus aus billigem blauem Stoff um alles genau zu treffen. Philipp webt mir dann als nächstes einen weissen festen Stoff, aus dem die Träume sind, klar, und ich nähe mir ein Kleid davon. Ich werde es dir vorführen. Ok?

  3. Sabine Heiniger sagt:

    Philipp mit Bart! Gseht de guet us! Marianne natürlich ou, ligt ja ir Familie.

  4. Mueti sagt:

    Dieses wundervolle Museum und die Bilder! Einmal dachte ich, er könnte Spitzweg sein, aber war es wohl nicht. Am liebsten wäre ich bei euch gewesen.

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